Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Gešov, Ivan Evstratiev
Bild: Wikimedia Commons
Wikidata: Q523393

In den Suchergebnissen blättern

Treffer 
 von 1526

Gešov, Ivan Evstratiev

Gešov, Ivan Evstratiev, bulgarischer Politiker, Finanzmann und Publizist, * Plovdiv 20.02.1849, † Sofia 11.03.1924.

Leben

G. besuchte die Elementarschule in Plovdiv. Seine weitere Ausbildung erfolgte in Manchester (Großbritannien), wo er 1868 das Owens-College (spätere Victoria-Universität) absolvierte. Bis 1872 blieb er im väterlichen Handelsgeschäft in Manchester, siedelte dann aber nach Plovdiv über. 1876 lancierte G. über den englischen Botschafter in Istanbul, Sir Henry Elliot, die ersten Berichte über den April-Aufstand in die Weltpresse und wurde kurz darauf ständiger Mitarbeiter der Londoner „Times“. Wegen der antitürkischen Akzente seiner Artikel wurden er und sein um zwei Jahre älterer Bruder Ivan Stefanov G. 1877 verhaftet und zum Tode verurteilt. Russischer und englischer Einspruch bewirkten einen Aufschub der Exekution und G.s Verschickung nach Istanbul, wo er durch die Amnestie nach dem Frieden von S. Stefano wieder frei wurde.
Nach der Teilung Bulgariens durch den Berliner Vertrag wurde G. in Süd-Bulgarien („Ost-Rumelien“) ansässig, wo er Präsident des am 7. Oktober 1879 erstmals gewählten Landtags wurde. Gleichzeitig gab er die Zeitung „Marica“ heraus. Mit G., dem westeuropäisch gebildeten Gentleman-Politiker, kam Bewegung in die ruhige politische Szene des halbautonomen Ost-Rumeliens: Die von ihm geführte Partei der „Unionisten“ propagierte den Anschluß an das Fürstentum Bulgarien und geriet dadurch in einen scharfen Gegensatz zu den vom türkischen Gouverneur Aleko-paša (Aleksandŭr Bogoridi) unterstützten „Radikalen“, die von ihren Gegnern nur höhnisch „Kazënnye“ (Ämterjäger) genannt wurden. In dieser Zeit war G. auch in die geheimen Versuche verwickelt, bei den westeuropäischen Regierungen um Unterstützung der südbulgarischen Anschlußpläne zu werben.
1881 wurde G. Finanzdirektor in Ost-Rumelien; 1883 gab er die Führung der „Unionisten“ an seinen temperamentvollen Vetter ab und ging ins nördliche Fürstentum, wo er im gleichen Jahr Direktor der Nationalbank wurde. 1886 übernahm G. das Finanzministerium in den Kabinetten Karavelov und Radoslavov, wurde darauf erneut Direktor der Nationalbank, später privater Bankier und Finanzberater von Evlogij Georgiev (1819-1897), dem großen bulgarischen Mäzen. Von 1894 bis 1897 war G. Finanzminister im Kabinett Stoilov, das er nach dem Tode Georgievs verließ.
1901 wurde G. Leiter der „Volkspartei“ (Narodna partija), 1911 Chef der Koalitionsregierung aus „Volkspartei“ und „Progressivliberaler Partei“ (Progresivno-liberalna partija). Er brachte das Bündnis der Balkanstaaten gegen die Türken zusammen, trat jedoch 1913 aus Enttäuschung über die Verbündeten zurück. 1920 übernahm G. die Leitung der „Vereinigten nationalprogressiven Partei“ (Obedinena narodnoprogresivna partija), nach dem Staatsstreich vom 9. Juni 1923 schloß er sich der regierenden „Demokratischen Eintracht“ (Demokratičeski sgovor) an.
Nicht weniger beeindruckend als G.s politische war auch seine literarische Karriere. Schon 1870 arbeitete er an der Istanbuler Zeitschrift „Čitalište“ (Lesehalle) mit, seit 1881 an der Plovdiver „Nauka“ (Wissenschaft). Im gleichen Jahr wurde er korrespondierendes, 1894 ordentliches Mitglied der „Bulgarischen literarischen Gesellschaft“ (Bŭlgarsko knižovno družestvo), der Keimzelle der späteren Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, die G. von 1898 bis 1923 leitete. Nebenher war er auch langjähriger Präsident des bulgarischen Roten Kreuzes. Daneben übersetzte er aus fremden Sprachen, z. B. Romane von Victor Hugo, schrieb selbst das Drama „Ivajlo“ (1888), Feuilletons (Sitni drebni, 1904), Erinnerungen (Spomeni, 1916), politische Studien (Balkanski sŭjuz, 1915; La genèse de la guerre mondiale et la débâcle de l’alliance Balcanique, 1919) und eine Vielzahl von politischen, finanziellen und wirtschaftlichen Artikeln, die in Auswahl 1928 von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia herausgegeben wurden (I. E. Gešov. Spomeni i studii).

Literatur

The Affairs of Eastern Roumelia and Bulgaria. London 1886.
Jireček, Constantin: Das Fürstentum Bulgarien. Prag, Wien, Leipzig 1891.
Bojčev, T. N.: Sŭedinenieto na Južna Bŭlgarija sŭs Severna. Sofija 1910.
Dorev, Pančo: Vŭnšna politika i pričini na našite katastrofi. Sofija 1924.
I. E. Gešov. Vŭzgledi i dějnost. Sofija 1926.
Danev, S.: Očerk na diplomatičeskata istorija na balkanskite dŭržavi. Sofija 1929.
Andonov, I.: Sŭedinenieto. Plovdiv 1929.
Todorov, Kosta: Politička istorija savremene Bugarske. Beograd 1938.
Hajek, Alois: Bulgariens Befreiung und staatliche Entwicklung unter seinem ersten Fürsten. Berlin, München 1939.

Verfasser

Wolf Oschlies (GND: 107216760)

GND: 119460769

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119460769.html


RDF: RDF

Vorlage (GIF-Bild):  Bild1   Bild2   

Empfohlene Zitierweise: Wolf Oschlies, Gešov, Ivan Evstratiev, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 42-43 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=873, abgerufen am: (Abrufdatum)

Druckerfreundliche Anzeige: Druckerfreundlich

Treffer 
 von 1526
Ok, verstanden

Website nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität bieten zu können. Mehr Infos