Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Gaj, Ljudevit
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Gaj, Ljudevit

Gaj, Ljudevit, kroatischer Politiker, Führer der illyrischen Bewegung, * Krapina 8.07.1809, † Zagreb 20.04.1872, Apothekersohn einer aus der Zips nach Kroatien eingewanderten deutschen Familie.

Leben

G. besuchte die lateinische Schule in Varaždin (ab 1821) und das deutsche Gymnasium in Karlovac (1826). Während dieser Zeit unternahm er literarische Versuche in deutscher und kajkavischer Sprache (s. seine unveröffentlichten „Poetischen Versuche“). 1826 publizierte er seine Übersetzung der lateinischen Handschrift des Abtes Sklenski „Die schönen Schlösser bei Krapina“, anschließend bis 1830 studierte er Philosophie und Rechtswissenschaften in Graz und Pest. Sein erstes Interesse für die südslawische Kultur wurde durch die Lektüre der Handschrift Sklenskis sowie der Liedersammlungen von Andrija Kačić-Miošić und Vuk Stefanović Karadžić geweckt. Als Student war er Mitglied des „Illyrischen Klubs“ in Graz. Sein slawischer Patriotismus vertiefte sich durch die Bekanntschaft mit dem Panslawisten Ján Kollár in Pest und dem polnischen Slawisten Andrzej Kucharski. Mit ihrer Anregung und nach dem Vorbild des kroatischen Historikers und Lexikographen Pavao Ritter Vitezović beschäftigte sich G. mit Problemen der Schriftsprache und Orthographie. Ende der 1820er Jahre entschloß er sich zur Übernahme der hussitisch-tschechischen Rechtschreibung mit diakritischen Zeichen und faßte seine Überlegungen in der Schrift „Kratka osnova horvatsko-slavenskoga pravopisanja“ (Kurze Grundlegung der kroatisch-slawischen Orthographie, Ofen 1830) zusammen.
Im selben Jahr nach Zagreb übersiedelt, sammelte er die national begeisterte Jugend um sich und gewann die Unterstützung des einflußreichen Grafen Janko Drašković. 1833 verfaßte er das Wecklied „Još Hrvatska ni propala“ (Noch ist Kroatien nicht untergegangen), das nachhaltigen Einfluß auf die Erweckung des Nationalbewußtseins ausübte. Ein Jahr später - fast gleichzeitig mit dem Erwerb des Doktorgrades der Philosophie in Leipzig - erhielt G. am 9. August 1834 mit Unterstützung der Minister Kolowrat-Liebsteinsky und Josef Graf Sedlnitzky trotz des energischen magyarischen Widerstands vom Wiener Hof die Erlaubnis zur Herausgabe einer politischen und kulturellen Zeitung in kroatischer Sprache. Die ersten Nummern der „Novine Horvatzke“ (ab 1836 „Ilirske Narodne Novine“) und der Beilage „Danicza Horvatzka, Slavonzka y Dalmatinzka“ (ab 1836 „Danica ilirska“) erschienen am 6. bzw. 10. Januar 1835. Sie wurden zum propagandistisch-programmatischen Sprachrohr des von G. artikulierten, von Kollár, Šafařík, Herder u. a. beeinflußten neuen südslawischen Nationalbewußtseins, das sich in bewußter Opposition zum magyarischen Hegemoniestreben und - unausgesprochen - zur deutschen sprachlichen und kulturellen Überfremdung der kroatischen Städte entfaltete. Der Schwerpunkt lag dabei zunächst im kulturellen Bereich: Einführung der neuen Orthographie, Aufgabe des provinziellen kajkavischen Dialekts und Durchsetzung des Štokavischen als gemeinsamer südslawischer Schriftsprache (vgl. G.s Aufruf vom 5.12.1835). G. kündigte darin zugleich die Verwendung des „illyrischen“ Namens als gemeinsamer Bezeichnung aller südslawischen Stämme an, um auf diese Weise regionale und provinzielle Empfindlichkeiten überwinden zu helfen. Während er die schriftliche Verbreitung des illyrischen Einheitsgedankens in erster Linie seinen Mitarbeitern Dragutin Rakovac, Vjekoslav Babukić, Bogoslav Šulek, Dimitrije Demeter u. a. überließ, gewann er mit seiner überzeugenden Agitation und seiner mündlichen „Schule der Peripatetiker“ - wie er es nannte - in Slawonien, Bosnien und Dalmatien neue Anhänger für die Bewegung.
1837 erhielt G. - abermals gegen magyarischen Widerstand - das Druckprivileg. Kurze Zeit später knüpfte er Kontakte zur russischen Regierung an und erbat vergeblich deren materielle Unterstützung. Im Frühjahr 1840 reiste er über Wien, Prag und Dresden nach St. Petersburg und Moskau, wo er von den Slawophilen eine bescheidene finanzielle Hilfe für seine weitere Arbeit erhielt. Etwa zur gleichen Zeit verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die Politik, wo er sich als erfolgreicher Taktiker gegen die magyarophile kroatische Aristokratie erwies. Der 1841 von den Madjaronen begründeten „Horvatsko-vugerska stranka“ (Kroatisch-ungarische Partei) stellte G. die vom mittleren Adel, der katholischen Geistlichkeit und Intelligenz getragene „Ilirska narodna stranka“ (Illyrische Nationalpartei) gegenüber, deren Programm sich sowohl auf die ungarische Konstitution als auch auf die staatsrechtliche Tradition Kroatiens und die „illyrische Nationalität“ stützte. Damit hatte G. schon zu Beginn des Parteienlebens in Kroatien den politischen Kroatismus mit dem literarischen Illyrismus untrennbar verbunden und den späteren großen Nationalideologen den Weg gewiesen. Das Bündnis zwischen dem mittleren Adel und der Kirche einer und dem aufkommenden Bürgertum andererseits verlieh den Bestrebungen G.s jedoch ein in sozialen und konfessionellen Fragen undemokratisches Element.
Infolge des Kampfes der beiden Eliten (Madjaronen und Illyrier) um Macht und sozial-ökonomische Positionen und der dadurch hervorgerufenen Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen wurde die Verwendung des illyrischen Namens am 11. Januar 1843 vom Wiener Hof verboten. G. trat damit vorübergehend in den Hintergrund des Geschehens und knüpfte geheime Beziehungen zu dem in Belgrad tätigen Emissär der polnischen Emigration František Zach an. Seine Verbindungen zu Serbien, das er 1846 und 1847 besuchte, sind jedoch noch nicht völlig geklärt.
1845 gelang es G., im Kampf gegen die Magyarisierung ein Bündnis zwischen der Nationalpartei und den ungarischen Konservativen herbeizuführen und das Vertrauen Metternichs zurückzugewinnen. Er förderte damit aber zugleich die Differenzierung innerhalb der illyrischen Bewegung in einen konservativen Flügel (um G.) und eine „demokratische Linke“ (um Ivan Mažuranić, Ivan Kukuljević, Bogoslav Šulek u. a.). Drei Jahre später, bei Ausbruch der Revolution, gelangte G. wieder an die Spitze der kroatischen Bewegung und leitete unter der Regierung des Bans Jelačić die politischen und diplomatischen Geschäfte Kroatiens und Slawoniens. Am 26. März 1848 führte er eine Delegation zum Wiener Hof an und überreichte dem König die „Narodna zahtijevanja“ (Nationale Forderungen) der Kroaten, die u. a. die Umwandlung der Habsburgermonarchie in eine Föderation und die Aufhebung der feudalen Verhältnisse auf dem Lande vorsahen. Anfang Mai wurde G. zum Delegierten für den kroatischen Landtag gewählt, doch fand seine politische Karriere schon wenige Tage später infolge einer ungeklärten Geldaffäre mit dem aus Serbien vertriebenen Fürsten Miloš Obrenović ein schnelles und unwiderrufliches Ende.
Ein Jahr später mußte G. aus finanzieller Not der Umwandlung seiner Zeitung in ein Amtsblatt der Wiener Regierung zustimmen. Das Erscheinen der „Danica“ wurde eingestellt. Die zweimaligen Versuche G.s zu einer Wiederherausgabe (1853 und 1863) erwiesen sich als wenig erfolgreich. Nach einer kurzen Verhaftung Ende 1853 war G. ein gebrochener Mann. Mit seiner 1864 in Zagreb veröffentlichten, für einen Kompromiß zwischen Zentralismus und Föderalismus eintretenden Schrift „Gedanken zum Ausgleich Croatiens und Slavoniens mit der Regierung“ versuchte er ein letztes Mal - vergeblich - politischen Einfluß zurückzugewinnen. Sein Ende ist in gewisser Weise symbolisch für das Schicksal des Illyrismus, der als südslawische Einheitsidee zwar letztlich Episode blieb, aber doch einen festen Kern hinterließ, um den sich allmählich das kroatische Volk als moderne Nation sammelte.

Literatur

Deželić, Velimir: Dr. Ljudevit Gaj. Zagreb 1910.
Paul, Karel: Dopisy československých spisovatelů Stanku Vrazovi a Ljudevitu Gajovi. Praha 1923. = Sbírka Praměnů. 23.
Warnier, R.: Illyrisme et nationalisme croate. In: Le monde slave 12 (1935) 3, 27-74.
Barac, Antun: Slom Ljudevita Gaja. In: Ostvarenja (1947) 227-241.
Durković-Jakšić, Ljubomir: Gajev pokušaj da izdaje „Narodne novine“ ćirilicom. In: Ist. Čas. 4 (1952/53) 95-128.
Georgijević, Krešimir: Gajevo školovanje u tudjini. Prilog proučavanju Ilirskog pokreta. In: Pitanja književnosti i jezika 2 (1956) 23-44.
Horvat, Josip i Jakša Ravlić (Hrsg.): Pisma Ljudevitu Gaju. Zagreb 1956. = Gradja za povijest književnosti Hrvatske. 26.
Horvat, Josip: Ljudevit Gaj. Beograd 1960. = Biblioteka „Portreti“.
Šidak, Jaroslav: „Tajna politika“ Lj. Gaja i postanak njegovih „Memoranduma“ knezu Metternichu 1846-47. In: Arhivski vjesnik 13 (1970) 397-433.
Frangeš, Ivo: Značenje Gajeve „Danice“. In: Croatica 2 (1971) 159-176.
U povodu stogodišnjice smrti Lj. Gaja. In: Radovi. Institut za hrvatsku povijest 3 (1973).

Verfasser

Holm Sundhaussen (GND: 120956055)

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Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd11871614X.html


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Empfohlene Zitierweise: Holm Sundhaussen, Gaj, Ljudevit, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 2-5 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=846, abgerufen am: (Abrufdatum)

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