Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Delčev, Goce Nikolov
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Delčev, Goce Nikolov

Delčev, Goce Nikolov, mazedonischer Politiker und Revolutionär, * Kukuš (ägäisches Mazedonien) 23.1. 1872, † Banica (Sjarsko) 4.05. 1903, Sohn des Handwerkers und Kleinbauern Nikola D. und der Sultana D.

Leben

An seinem Geburtsort besuchte D. die Grundschule, später das bulgarische Gymnasium in Saloniki. Nach Beendigung der Schulzeit trat er in die Offiziersschule in Sofia ein, von der er indessen wegen sozialistischer Betätigung bald wieder verwiesen wurde. In seiner Sofioter Zeit wurde D. erstmals mit der mazedonischen Problematik vertraut. Gemäß dem Frieden von San Stefano (3.03.1878) nach dem Russisch-Türkischen Krieg sollte Mazedonien ein autonomes Gebiet mit enger Bindung an das von Rußland geförderte „Groß-Bulgarien“ werden. Der Berliner Kongreß (13.07.1878) durchkreuzte diesen Plan durch Rückgabe Mazedoniens an die Türkei. Als Antwort darauf gründeten D., der inzwischen im ostmazedonischen Štip Lehrer geworden war, und seine Freunde in Štip 1894 die „Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation“ (IMRO; Vŭtrešna Makedonska Revoljucionna Organizacija), die rasch zu Einfluß und Autorität unter den Mazedoniern gelangte und darüber hinaus den Balkan ein halbes Jahrhundert lang in Atem hielt. Das Credo der Organisation formulierte D. bei ihrer Gründung: „Ich hasse die Türken nicht als Volk, ich kämpfe jedoch gegen die Osmanische Tyrannei als Herrschaftssystem; ich kämpfe für ein freies Mazedonien mit vollen Rechten...“ D. wurde der führende Kopf der IMRO. 1894-1903 war er Mitglied ihres Zentralkomitees, 1896-1902 Mitglied ihrer Auslandsvertretung in Sofia. Zusammen mit G’orče Petrov erarbeitete er ein Statut, das vom IMRO-Kongreß im Sommer 1896 in Saloniki angenommen wurde. Es sah die Befreiung Mazedoniens von den Türken und seine Autonomie im Rahmen einer Föderation der Balkanländer vor. Zur Erreichung dieses Ziels war D. zwar grundsätzlich ein Befürworter bewaffneter Kämpfe, wollte diese allerdings nur in Abhängigkeit vom politischen Reifegrad der Mazedonier begonnen sehen. So sprach er sich 1903 auf einem IMRO-Kongreß in Saloniki gegen einen übereilten Beschluß zum Aufstand aus. Auf der Rückkehr vom Kongreß geriet D. bei dem Dorf Banica (Sjarsko) in einen türkischen Hinterhalt und wurde umgebracht.
Nach D.s Tod und nach dem fehlgeschlagenen Aufstand hoffte die IMRO auf die Hilfe Bulgariens (von dem sie laufend Waffen erhielt), das immer noch dem großbulgarischen Traum von San Stefano anhing. Bulgariens glücklose Kriegführung in den Balkankriegen 1912/13 führte indessen zur Aufteilung Mazedoniens unter Serbien, Griechenland und Bulgarien und damit zu einem immer noch schwelenden Streit. Bulgarien, das mit Pirin-Mazedonien nur etwa ein Zehntel des mazedonischen Territoriums erhielt, reklamiert seither mit wechselnder Intensität und unbeschadet geänderter Gesellschaftssysteme ganz Mazedonien für sich. Nach den Balkankriegen zerfiel die IMRO in rivalisierende Flügel, von denen nur der linke unter Todor Aleksandrov D.s autonomistisch-föderalistische Linie weiter verfolgte. Die Organisation degenerierte immer mehr zur terroristischen Bande; speziell in Bulgarien wurde sie zum Staat im Staate und konnte ernst nach dem Staatsstreich vom 19. Mai 1934 von der Regierung Georgiev wirksam bekämpft und aufgelöst werden.
D.s Ideen und Teile der IMRO (wie die 1925 gegründete und gänzlich unter kommunistischem Einfluß stehende „Vereinigte IMRO“) hatten zu allen Zeiten einen gewissen Einfluß auf die kommunistische Einstellung zur mazedonischen Frage, zuletzt sichtbar geworden nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Plänen für eine Balkanföderation (1944-1948). Zur Erinnerung an D. wurde 1950 die im bulgarischen Pirin-Mazedonien gelegene Stadt Nevrokop in „Goce Delčev“ umbenannt.

Literatur

Javorov, Peju: Goce Delčev. Sofija 1904 (Deutsche Übers. Wien 1925).
Stamatov, St.: Spomeni za Georgi Delčev i Boris Drangov. Sofija 1935.
Andonov-Poljanski, Christo: G. Delčev vo spomenite na sovremenicite. Skopje 1963.
K’osev, Dino: Goce Delčev. Sofija 1967.
Jezdinský, Karel: Spor o Vardarské údolí. In: Reportér (1968) 10, 17-19.
Dellin, L. A. D.: Das Mazedonien-Problem in kommunistischer Sicht: ein Lösungsversuch im Rahmen einer Balkanföderation. In: Südost-Forsch. 28 (1969) 238-264.
Gradinajn, Jordan: Kakvo govorjat faktite? In: Pirinsko delo Nr. 93 vom 12.08.1971, S. 4; Nr. 94 vom 14.08.1971, S. 5.

Verfasser

Wolf Oschlies (GND: 107216760)

GND: 118825739

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118825739.html


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Empfohlene Zitierweise: Wolf Oschlies, Delčev, Goce Nikolov, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 384-385 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=720, abgerufen am: (Abrufdatum)

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