Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Maniu, Iuliu
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Maniu, Iuliu

Maniu, Iuliu, rumänischer Staatsmann, * Simleul-Silvaniei (Siebenbürgen) 08.01.1873, † 1955 (?).

Leben

 Nach einem Studium an der Wiener Universität und kurzer Anwaltstätigkeit stellte sich M., als eigenwillige Persönlichkeit wesentlich mitgeprägt durch seine Zugehörigkeit zur griechisch-katholischen Minderheit, als Mitglied des Präsidiums der rumänischen Nationalpartei in der ungarischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie (ab 1896) und als Abgeordneter im Budapester Parlament (ab 1906), ganz in den Dienst der rumänischen Nationalbewegung mit dem Ziel einer Vereinigung seiner Heimat Siebenbürgen mit dem Königreich Rumänien. 1918 setzte er dementsprechend die vorbehaltlose Eingliederung in ein unitaristisch strukturiertes „Groß-Rumänien“ durch, obwohl damit zunächst die weitere Vorherrschaft der von ihm bekämpften großbürgerlich orientierten Liberalen feststand. Erst die Vereinigung seiner siebenbürgisch-rumänischen Nationalpartei mit der altrumänischen Bauernpartei Ion Mihalaches zur Nationalen Bauernpartei (Nationalzaranisten) 1926 schuf die Voraussetzung für eine Ablösung der Liberalen und eine eigene Regierungsübernahme. Nach dem Wahlsieg vom 12. Dezember 1928 (über 80% der gültigen Stimmen für die Nationalzaranisten) wurde M. Ministerpräsident. Sein Programm einer entschiedenen Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Bauern, d. h. der Masse der Bevölkerung, scheiterte unter den Rumänien besonders hart treffenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. Auf Drängen vieler Parteifreunde willigte M. in die Rückkehr Karls (II.) aus seinem Pariser Exil und in seine Proklamation zum König (08.06.1930) ein. Als offenkundig wurde, daß dieser sein Versprechen, sich von Frau Lupescu zu trennen, nicht hielt, trat M. am 1. Oktober 1930 zurück, fand sich allerdings später (19.10. 1932 - 12.1. 1933) noch einmal bereit, vorübergehend die Regierung zu übernehmen.
 Seitdem in Opposition gegen den innenpolitischen Kurs Karls II. und seine immer stärker von ihm abhängigen Regierungen, stimmte M., bis zum Verbot sämtlicher politischer Parteien und zur Errichtung der „Königsdiktatur“ (11.-20.11. 1938) weiter Abgeordneter im Bukarester Parlament, mit der außenpolitischen Grundlinie, dem Festhalten an der Verbindung mit Frankreich (und Großbritannien) sowie der Orientierung am Völkerbund, überein, da sie allein die Existenz „Groß-Rumäniens“ zu sichern schien. Die mit wachsendem Gewicht Hitler-Deutschlands zunehmenden Annäherungsversuche Karls an das Reich lehnte er entschieden ab. Je mehr sich die Zweigleisigkeit der Außenpolitik und schließlich (im Mai/Juni 1940) die Umorientierung in Richtung auf Deutschland durchsetzte, umso stärker wuchs M. in die Rolle eines Führers der nationalen Opposition hinein, obwohl seine Möglichkeiten, öffentlich zu wirken, seit Aufhebung der liberalen Verfassung (1938) und noch mehr nach Suspension der autoritären Verfassung der „Königsdiktatur“ (04.09.1940) und der Regierungsübernahme durch General Antonescu als „Conducatorul“ weitestgehend eingeschränkt waren. Sein leidenschaftlicher Protest gegen die Abtretung Nord-Siebenbürgens an Ungarn auf Grund des Wiener Schiedsspruchs (30.08.1940) bei Hitler und Mussolini am 2. September 1940 hatte seine Position vor der Weltöffentlichkeit unübersehbar gemacht. Den Krieg Rumäniens gegen die Sowjetunion (ab 22.06.1941) zur Befreiung Bessarabiens und der Nord-Bukowina befürwortete M. trotz Einsicht in die damit verbundene Verstrickung aus seinem nationalen Engagement für „Groß-Rumänien“ heraus, wandte sich dann jedoch klar gegen die Fortsetzung des Krieges und gegen den Einsatz rumänischer Truppen in der Ukraine, auf der Krim, im Raume von Stalingrad und im Kaukasus. Nachdem Antonescu während der Stalingrad-Krise selbst erkannt hatte, in welcher Gefahr sich Rumänien befand und daß der Versuch unternommen werden müsse, mit den Westalliierten zu einer Absprache über die Besetzung Rumäniens vor einem Eintreffen der Roten Armee zu gelangen, kam es zu einer Annäherung M.s an den „Conducator“. Die im Aufträge M.s und mit Zustimmung Antonescus geführten Geheimverhandlungen mit Vertretern der Alliierten in Kairo (ab 17.03.1944) führten jedoch zu keiner Einigung, sondern nur zur Aufforderung an M., Antonescu zu stürzen. M.s Bemühungen, über eine quasi-Koalition der reaktivierten „demokratischen“ Parteien (Nationalzaranisten, Liberale, Sozialisten, Kommunisten), die zur Regierungsübernahme bereit sei, aber Konzessionen von den Alliierten benötige, und seine wiederholte Aufforderung an die Westmächte, Luftlandetruppen nach Rumänien zu entsenden, um eine vollständige Besetzung des Landes durch Sowjettruppen und eine kommunistische Machtübernahme zu verhindern, erwiesen sich gleichfalls als ergebnislos. Als sich König Michael I. unter dem Eindruck der rasch ins Kernland Rumäniens vordringenden sowjetischen Offensive entschloß, Antonescu zu stürzen (23.08.1944), lehnte M. eine Regierungsübernahme ab, obwohl die Mehrheit der Rumänen wohl eine solche Entscheidung von ihm erwartet hatte. Er wurde daher - wie die anderen Parteiführer - in der Regierung Constantin Sănătescu lediglich Minister ohne Portefeuille, bemühte sich um die Reorganisation der Nationalzaranisten im ganzen Lande und drängte auf die Abhaltung freier Wahlen, von denen er einen Auftrag zur Führung der Nation erwartete. Dieses der sowjetischen Politik diametral entgegengesetzte Ziel sowie seine Kritik an der Besatzungsmacht und an der Aktivität der Kommunisten führten dazu, daß M. als persona ingrata bereits bei der Umbildung der Regierung Sănătescu am 2. November 1944 als Minister ausscheiden mußte, allerdings noch Berater Michaels blieb. Denkschriften an die Adresse der Westmächte mit zahlreichen detaillierten Hinweisen auf die Praktiken der Sowjets in Rumänien und wiederholte Aufforderungen an die Amerikaner und Briten, zu intervenieren, um dem Terrorregime in Rumänien ein Ende zu bereiten, hatten schließlich die Aufhebung der Immunität M.s am 19. Juli 1947, seine Verhaftung und seine Aburteilung durch ein „Militärgericht“ am 11. November 1947 zur Folge. M., der 1946 im Antonescu-Prozeß als Zeuge aufgetreten war und sich aller alten Gegnerschaft zum Trotz in nationaler Solidarität zu Antonescu bekannt hatte, zeigte sich auch im Verlauf des gegen ihn selbst geführten Prozesses, der mit „lebenslänglichem Kerker“ (wegen des Alters des 74jährigen zu „lebenslänglicher Zwangsarbeit“ „gemildert“) endete, ungebrochen. Seitdem wurde offiziell von M. nichts mehr berichtet. Am 14. Oktober 1955 erwähnte der ehemalige Ministerpräsident Gheorghe Tătărescu in einem Interview gegenüber der „New York Times“, daß M. 1955 im Kerker gestorben sei. M. gehört zu den nicht zahlreichen Politikern und Staatsmännern, auf die das vielfach klischeeartig angewandte Wort „tragisch“ in vollem Sinn zutrifft. Obwohl er in all dem, was er angestrebt hatte, scheiterte, als Ministerpräsident 1928-1930, als Oppositionsführer in den dreißiger Jahren und als nationale „Alternative“ in der Antonescu-Zeit, hat er doch mit seiner charakterlichen Standfestigkeit, mit seinem mutigen Eintreten für Recht und Gerechtigkeit, gerade auch in der aussichtslosen letzten Phase unter der kommunistischen Herrschaft 1945-1947, und mit seinem Bekenntnis zu den Grundsätzen einer freiheitlichen Demokratie, die auch für Rumänien Gültigkeit behalten müßten, ein weit über sein Land hinaus wirkendes Beispiel gesetzt.

Literatur

Prost, Henri: Destin de la Roumanie 1918-1945. Paris 1954.
Captive Rumania. A Decade of Soviet Rule. Hrsg. Alexandre Cretzianu. New York 1956.
Jonescu, Ghita: Communism in Rumania 1944-1962. London, New York, Toronto 1964.
Hillgruber, Andreas: Hitler, König Carol und Marschall Antonescu. Die deutsch-rumänischen Beziehungen 1938-1944. Wiesbaden 1965(2).

Verfasser

Andreas Hillgruber (GND: 118702815)

GND: 119314746

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119314746.html


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Empfohlene Zitierweise: Andreas Hillgruber, Maniu, Iuliu, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 86-88 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1288, abgerufen am: (Abrufdatum)

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